Afrika in Corona-Zeiten. Feststellungen und Thesen
- Feststellung: Infolge der Corona-Pandemie wird sich das wirtschaftliche Wachstum verlangsamen, in einigen Export-abhängigen Branchen wird es drastisch abnehmen.
Bisher sind ca. 53.000 Afrikaner*Afrikanerinnen an COVID19 erkrankt und nur wenige Tausende gestorben – nach offiziellen Meldungen (die Dunkelziffern dürften ein Mehrfaches betragen; AFP–Bericht von Anfang Mai 2020). Nach WHO-Berechnungen breitet sich in Afrika das Corona-Virus zwar langsamer aus als in Ländern mit durchschnittlich älterer Bevölkerung; aber gleichwohl könnten sich im Jahr 2020 bis zu 44 Millionen Menschen mit dem Virus in Afrika infizieren, und 190.000 Menschen könnten im ersten Jahr sterben (Report des WHO-Regionalbüro Brazzaville, laut AFP/taz-Meldung, 25.05.2020). „Es ist sehr unterschiedlich, auf welche Weise Menschen von der Pandemie betroffen sind, je nach Klasse, race, Geschlecht, Religion und auch politischer Einstellung. Die Infragestellung des Status quo der Krisenproduktion ist die Voraussetzung, eine gleichberechtigtere und integrative Debatte über Krisen zu gewährleisten“ – mahnte die Ethnologin Teresa Cremer (Cremer 2020).
Nach einer Studie der Afrikanischen Union vom April 2020 wird sich Afrikas wirtschaftliche Wachstum infolge der Corona-Pandemie um 0,8% oder um 1,1% abschwächen. Auch vor Ausbruch der Corona-Pandemie befand sich die Mehrheit der afrikanischen Länder in einem wirtschaftlichen Abwärtstrend: Während in der Periode zwischen 2004 und 2008 das jährliche Pro-Kopf-Einkommen noch real um 4% gewachsen war, wurde im Zeitraum 2009 bis 2018 nur noch ein Wachstum von 1,7 % erzielt. Gleichzeitig stieg die Verschuldung von 19% Anteil am BIP auf 24% im Jahr 2018. Fast alle Länder hatten also schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie einen erhöhten Kapitalbedarf, der nur ungenügend durch Ausländische Direktinvestitionen (FDI) gedeckt werden konnte. Das Wirtschaftswachstum wird sich in zahlreichen Branchen verlangsamen oder sogar umkehren (Tourismus-Branche; Blumen- und Gemüseexporte; Öl- und Erdgasausfuhren etc.), und vor allem in den Ländern mit schwachem Binnenmarkt oder großer Auslandsabhängigkeit.
2. Feststellung: Neue Arbeitsplätze für Afrikas Jugend werden nur zum geringen Teil durch Migration im Ausland entstehen können, großen Teils hingegen im Inland in formellen und informellen Wirtschaftssektoren entstehen (müssen).
Auch bei optimistischer Annahme, dass jährlich einige Millionen Afrikaner*innen nach Europa und in den Nahen Osten emigrieren könnten (Jakob & Schlindwein 2017; Smith 2018; Collier 2014), wird die wirtschaftliche Zukunft der afrikanischen Jugend hauptsächlich nicht in der dauerhaften Auswanderung liegen können, sondern in den zu modernisierenden Wirtschaftsräumen des afrikanischen Kontinents, soll nicht der Großteil der Erwerbsbevölkerung wie bisher in den informellen Wirtschaftssektoren auf Subsistenzniveau verbleiben. Der Anteil von formellen Arbeitsverhältnissen bei Staat und Privatwirtschaft beträgt meistens unter 10% der Erwerbsbevölkerung, nicht selten sogar unter 5% (Kappel & Reisen 2029, S. 40). Von den geschätzt 20 Millionen Jugendlichen, die alljährlich die Schulen in Afrika südlich der Sahara (ASS) verlassen (laut BMZ— ‘Marshall-Plan‘ mit Afrika 2017), werden kaum mehr als insgesamt drei Millionen im formellen Sektor ihres jeweiligen Heimatlandes eine Anstellung finden können, d. h. in Ministerien, Wirtschafts- & Dienstleistungsunternehmen sowie bei Armee und Polizei. Sie werden jeweils die älteren Job-Inhaber ablösen. Kaum mehr als – optimistisch betrachtet – zwei Millionen junge Afrikaner*innen werden bei den 10.000 großen und kleinen chinesischen Unternehmen, die heute in Afrika unterwegs sind, direkt und indirekt einen Job finden können. Die 850 deutschen Unternehmen, die zurzeit in Afrika im Einsatz sind und die etwa 200.000 Afrikaner beschäftigen, können über staatliche Förderprogramme (z. B. infolge des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes von 2020 oder durch Hermes-Bürgschaften) sowie mit Hilfe intelligenter Migrations- und Ausbildungspartnerschaften mit den bisher zwölf afrikanischen Reformländern in naher Zukunft kaum mehr als noch einmal so viele Menschen in Lohn und Brot bringen (weitere 200.000; alle Zahlen aus Tetzlaff 2020).
Vor diesem Hintergrund wirkt der vage BMZ-Plan „Special Initiative for Training and Employment 2020“, in den nächsten Jahren 100.000 Jobs zu schaffen und 30.000 Ausbildungsplätze bereitzustellen (Kappel & Reisen 2019, S. 52), kaum mehr als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn sich Frankreich, England, Indien, Brasilien sowie andere Handelspartner Afrikas ebenso Arbeitsplatz-aktiv verhalten würden wie es Deutschland versprochen hat zu tun, könnten durch begleitende ausländische Direktinvestitionen und faire Handelsabkommen insgesamt schätzungsweise maximal weitere zwei Millionen Arbeitsplätze für Afrikaner*innen entstehen (Tetzlaff 2020). Andere Schätzungen sprechen von 600.000 Jobs, die durch FDIs in Afrikas Städten entstanden sind (Kappel et al. 2017, S. 41) – auch sie hoch willkommen, aber keine Lösung des Job-Problems, angesichts eines geschätzten Bedarfs an neuen Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2030 von etwa 500 Millionen (= knapp 30% der Gesamtbevölkerung von 1,7 Mrd. Menschen; Kappel et al 2017, S, 41).
Folglich fehlt momentan – wenn alles so weiter liefe wie bisher – „für zwei Drittel der afrikanischen Jugend“ eine befriedigende Erwerbsperspektive (so auch Chef-Ökonom Monga von der AfDB; Dembowski 2020). Hinzukommen die zu erwartenden Verluste an Arbeitsplätzen als Folge der Corona-Pandemie – etwa 20 Millionen nach Angaben von ILO und WHO (Interview mit Rolf Kappel in „makro“ am 19.5.2020: „Corona erreicht Afrika“)
3. Feststellung: Die Corona-Pandemie verschärft das Problem der Nahrungsmittel-Erzeugung und -Versorgung, und der Hunger wird in den Mega-Cities dramatisch zunehmen, vor allem für Menschen in den informellen Wirtschaftssektoren
Afrika als Agrarkontinent mit großem nicht produktiv genutzten Flächen importiert bis zu 80% seiner benötigten Nahrungsmittel von anderen Ländern, was viele Milliarden Dollar an Devisen kostet, – Gelder, die besser produktiv investiert werden sollten. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat in einer aktuellen Studie „Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit. Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss“ (Berlin 2018) aufgezeigt, wie auch Methoden der ‚Grünen Revolution‘ und der ‚sustainable intensification‘ (nachhaltige Intensivierung) dazu beitragen können, einen produktiven Agrarsektor zum Entwicklungsmotor zu machen (was auch der historischen Erfahrung in Westeuropa entsprechen würde).
Die Dringlichkeit einer Agrarwende liegt auf der Hand: Am Ende des Jahres 2020 könnten 265 Millionen Afrikaner*innen „am Rande des Hungertodes“ stehen (so WFP-Präsident David Beasley im April 2020). In neun ostafrikanischen Ländern könnte sich die Zahl der Hungernden von heute 20 Millionen auf 43 Millionen mehr als verdoppeln. Auch Burkina Faso, Südsudan, die Zentralafrikanische Republik, Simbabwe, Äthiopien und Nordostnigeria (acht Mio. Bewohner von Borneo State) seien auf Nahrungsmittelnothilfe angewiesen – insgesamt „ungefähr 100 Millionen Menschen“, wofür die WFP-Direktion 14 Mrd. US $ bis Ende 2020 brauchen würde – Gelder die nun nicht mehr gespendet würden, „während reiche Länder zur Stimulierung ihrer nationalen Wirtschaftsprogramme etwa 5 Billionen US-Dollar ausgeben würden“ (Africa Confidential, vol. 61, Nr. 10, May 2020, S. 3).
Als weitere Folge der Corona-Pandemie beklagt die FAO-Direktion den Kontinent-weiten Rückgang des Handels mit Nahrungsmitteln, Saatgut, Düngemitteln, Agro-Chemikalien (z. B. zur Bekämpfung der Heuschreckenplage) und von Erdöl- und Erdgas (infolge des dramatischen Preisverfalls), so dass die afrikanischen Farmer und Kleinbauern kaum noch in der Lage seien, ohne Hilfe ihre Felder bestellen zu können. Da Reisimporte aus zwei der wichtigsten Lieferländern, nämlich Kambodscha und Vietnam, wegen dortiger Exportverbote kaum noch nach Afrika gelangen – wobei Afrika jährlich für 4,5 Mrd. US $ Reis zu importieren gewohnt war -, drängt die FAO afrikanische Regierungen dazu, der Eigenproduktion von Nahrungsmitteln endlich höchste Priorität einzuräumen (Africa Confidential, vol. 61, Nr. 10, May 2020, S. 4).
4. Feststellung: Der Klimawandel begünstigt Landflucht, Urbanisierung und Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung und erschwert so den Ausweg aus dem ‚Teufelskreis der Armut‘
Erfreulicherweise konnte die Armut in einigen Ländern (wie Marokko, Botswana, Ghana, Kenia, Äthiopien oder Senegal) in den vergangenen Jahren gesenkt werden, aber das zentrale Ziel der UN Millenniums Development Goals von 2000 – die Halbierung der Armutsquote – wurde in Subsahara-Afrika klar verfehlt: Noch immer leben ca. 45% bis 49% der Afrikaner*innen (ca. 540 Mio. bis 590 Mio.) unterhalb der Armutsgrenze. Unter den zahlreichen Ursachen dieses komplexen Problems rangiert das relative Bevölkerungswachstum – relativ im Verhältnis zu wirtschaftlichem Wachstum und Produktivität der Volkswirtschaft – an erster Stelle (Abi 2020). Während das wirtschaftliche Wachstum pro Kopf jährlich um ca. 2% zunahm, wuchs die Bevölkerung um ca. 2,7% (Zahlen nach Tetzlaff 2018, S. 320; BIBE 2020), so dass es zu einem Mangel an selbst akkumuliertem Investitionskapital kommen musste.
Eine weitere Ursache für die Zunahme von Hunger, Arbeitslosigkeit und Armut ist der Klimawandel. „Er ist längst die Überlebensfrage der Menschheit. Böden verdorren, Wasserreserven gehen rapide zurück, Wetterextreme nehmen zu. Experten rechnen mit 85 Millionen Klimaflüchtlingen in Afrika bis 2050“ (BMZ 2020). Die WHO befürchtet, dass sich in Kürze die Zahl der Malaria-Toten von rund 400 000 jährlich auf fast 800 000 erhöhen könnte – wegen logistischer Engpässe und steigender Transportkosten (Thilo Thielke in FAZ vom 7.5.2020, S. 10). Die internationale Nahrungsmittelhilfe (FAO, WHH, IBRD, Brot für die Welt etc.) reicht schon heute nicht mehr, den auch global gestiegenen Bedarf auch nur annähernd zu decken. Dazu verschärft der Corona-bedingte Rückgang der Remittances – bisher jährlich zwischen 50 und 100 Mrd. US $ – die Versorgungslage in zahlreichen Ländern mit Grundnahrungsmitteln, weil die Kaufkraft schwindet. Auch die Diaspora-Gemeinden in Deutschland und anderswo sind Opfer der Corona-Pandemie und werden wohl vergeblich auf Unterstützung warten.
In zahlreichen Ländern Afrikas besteht so ein Teufelskreis der Armut – strukturelle Armut fördert Krankheiten (und umgekehrt) und begünstigt sowohl Arbeitslosigkeit als auch Bildungsdefizite (primär bei Frauen), die wiederum zusammen weitere Armut, Ernährungs-Unsicherheit sowie mangelnde Einkommensmöglichkeiten (und ungewolltes Bevölkerungswachstum) als unerwünschte Folgen haben. Massive Investitionen aus dem In- und Ausland in die marode bzw. unentwickelte Infrastruktur könnte einen Ausweg eröffnen (Jeffry Sachs-Programm), aber heute schon beträgt die Finanzierungslücke bei notwendigen Infrastruktur –Investitionen in Subsahara-Afrika 30 Mrd. US $ jährlich; die Lücke an Investitionen für kleine und mittelgroße Unternehmen im formalen Sektor (SME) wird mit ca. 70 bis 90 Mrd. US $ jährlich veranschlagt (Kappel u.a. 2017, S. 44). Es Ist kaum damit zu rechnen, dass die OECD-Länder angesichts hoher Schuldenberge und eigener Corona-bedingter finanzieller und logistischer Engpässe in den nächsten Jahren diese Kapitallücken werden schließen können, selbst wenn sie wollten. Nicht auszuschließen ist, dass die Volksrepublik China versuchen wird, ihr 2020 entstandenes Negativ-Image als rassistische Gesellschaft, die afrikanische Arbeiter, Unternehmer und Studenten in China während der Corona-Krise zuweilen abschätzig behandelte, durch umfangreiche Investitionen und Geldtransfers aufzubessern.
5. Feststellung: Ausländische Direktinvestitionen (FDI) konzentrierten sich lange auf wenige Rohstoffländer; Initiativen zur Diversifizierung der Wirtschaft begünstigen das Wachstum von städtischen Konsummärkten
Die FDI-Zuflüsse nach Afrika waren von 9,7 Mrd. US $ im Jahr 2000 auf 54 Mrd. US $ im Jahr 2015 gestiegen, allerdings konzentriert auf wenige Rohstoffländer, darunter die Ölexportländer Angola, Kongo-Brazzaville, Nigeria und Sudan. Zu den zehn Top-Ländern mit den meisten FDI-Projekten, die der Diversifizierung und Industrialisierung dienen, gehören 2015 Ägypten. Äthiopien, Elfenbeinküste, Ghana, Kenia, Marokko, Mosambik, Nigeria, Südafrika und Uganda (nach Kappel et al. 2017, S. 27). Der jüngste Trend zeigt aber deutlich eine Erweiterung des Empfängerspektrums auch auf Länder mit wachsender Mittelschicht (einer floating class, die bereits heute, bei optimistischer Annahme, bei Wachstumsländern bis zu einem Drittel der Gesamtbevölkerung betragen kann).
Deutsche Afrika-Firmen haben bisher nur ein geringes Investitions-Volumen erreicht (mit 200.000 geschaffenen Arbeitsplätzen vor Ort), weil die afrikanischen Märkte klein und die unternehmerischen Risiken auf Grund des nicht sehr marktfreundlichen Investitionsklimas groß sind. Außerdem wirkt die defizitäre Infrastruktur (Energieversorgung, Zustand der Verkehrswege, bürokratische Hürden; unterentwickelter Banksektor) eher abschreckend als einladend. Seit der 2018 begonnenen Compact with Africa-Diplomatie der G20-Staaten, einschließlich der aktiven Rolle der deutschen Bundesregierung, sind Bestrebungen im Gange, in Ländern mit reformorientierten Regierungen Wandel durch Investitionen, Migrationspartnerschaften und Handelserleichterungen zu schaffen (Näheres dazu bei Kappel & Reisen 2019).
Auch die große Zahl an Nicht-Regierungsorganisationen (NRO), kirchlichen Vereinen und Kommunen (der EU-Länder), die nicht nur in Reformländern, sondern auch in ‚Fassendemokratien‘ und ‚failed states‘ unter schwierigsten Bedingungen aktiv sind, können nur einen kleinen Beitrag zur Lösung des Job-Problems erbringen, – unter anderem auch dadurch, dass sie mithelfen, in den Heimatländern nach dauerhaften Einkommensmöglichkeiten zu suchen oder solche zu schaffen (Natürlich dient auch ihr Einsatz indirekt dem Ziel, junge Menschen von der risikoreichen Migration abzuhalten).
6. Feststellung: Das Auseinanderdriften Afrikas in Länder mit und ohne Reformdynamik – die Kontinent-weite Diversifizierung und Spaltung – nimmt weiter zu.
Neben einer Gruppe von etwa zehn wirtschaftlich und politisch relativ erfolgreichen Reformländern[1] (Mauritius, Botswana, Namibia; Kap Verde, Ghana, Burkina Faso, Senegal, Elfenbeinküste; Tunesien und Marokko), gibt es die etwa gleichgroße Ländergruppe der Staatszerfalls-Länder (failing states), – darunter Somalia, Südsudan, Simbabwe, Burundi, DR Kongo, Tschad, Mali, Nord-Nigeria und Libyen. In diesen von staatlicher Misswirtschaft oder von Bürgerkriegs-Parteien, ethnischen Milizen und Dschihadisten heimgesuchten Ländern sind weder durch klassische Entwicklungshilfe (Projekthilfe, Budgethilfe) noch mittels ausländischer Direktinvestitionen nachhaltige Fortschritte zu erwarten. Hier ist höchstens politische Stabilisierung der Institutionen des Kernstaates (state-building) von innen und außen das einzig realistische Kooperationsziel – abgesehen vom Einsatz der NGOs unterhalb der staatlichen Kooperationsebene.
Zur Zeit ist Mali das Land, in dem ca. 1400 Soldaten und Militärausbilder aus westlichen Ländern seit sieben Jahren versuchen, die ‚Somaliaisierung‘ oder ‚Afghanistanisierung‘ des Vielvölkerstaates zu vermeiden – angesichts einer eher reformresistenten, ethnisch nicht balancierten Regierung eine Sysiphus-Aufgabe (Harding 2020). Die externe Militärintervention (plus Armeeausbildung) ist wohl vorübergehend als unvermeidbar anzusehen, erscheint aber gleichwohl ohne Aussicht auf dauerhafte Konsolidierung[2].
7. Feststellung: Entwicklungserfolge sind abhängig von einer politisch ambitionierten Staatsführung (im Sinne der ‚developmental state‘-Theorie): Äthiopien, Ruanda etc.
Zwischen den beiden Governance-Polen (Demokratie und Staatszerfall) lässt sich als eine dritte Gruppe mit etwa dreißig Ländern Staaten ausmachen, denen fehlende Reformbereitschaft auf Seiten der Regierung, endemische Korruption im Verwaltungsapparat und Unterversorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern (Bildung, Gesundheit, Sicherheit) gemeinsam ist. Sie werden oftmals als „Fassaden-Demokratien“ oder „Kleptokratien‘“ bezeichnet. Hier sind – nicht zuletzt auf Grund des wachsenden Bevölkerungsdrucks – Überlebenskämpfe zwischen rivalisierenden ethnisch-regionalen Gruppen um knapper werdende Ressourcen wie Ackerland, Weiden, Oasen, Flusswasser, Stipendien und Jobs an der Tagesordnung. Hier zu helfen, wäre besonders dringlich, ist aber aus politischen Gründen ziemlich aussichtslos; denn es handelt sich um Regierungen, die „Reformen“ versprechen, diese aber nie ins Werk setzen, aus Angst, die Kontrolle über den sozio-ökonomischen Wandel zu verlieren.
Ferner kann viertens noch eine kleine Ländergruppe von wirtschaftlich erfolgreichen „Entwicklungsdiktaturen“ identifiziert werden, deren Regierungen im Sinne der Theorie des developmental state durch entwicklungspolitische Leistungen (anstelle von freien und fairen Wahlen) Herrschaftslegitimation zu erlangen suchen – mit fast allen zu Gebote stehenden Mitteln (nach singapurischem oder chinesischem Vorbild). Im Unterschied zu Südafrika und Nigeria als den beiden wirtschaftlichen Schwergewichten des Kontinents, die seit einigen Jahren allerdings „schlecht regiert“ werden (Seitz 20018) und als Entwicklungsmotoren ausfallen (Tetzlaff 2028), gehören dazu Äthiopien und Ruanda, sowie ansatzweise auch Ägypten, Kenia und Uganda. Hier sind erste bemerkenswerte Fortschritte auf den Gebieten der Bevölkerungspolitik, der Familienplanung und der Schulbildung von Mädchen und Frauen gemacht worden, d. h. in den Bereichen, die theoretisch den größten Nutzen im Kampf gegen Armut, Fatalismus, Fehlernährung und Armutsmigration erbringen (BIBE 2018). Ob die von oben angeordneten Reformen auch langfristig Bestand haben, steht in den Sternen – ihre Institutionalisierung muss noch vertieft werden -, aber sie verdienen als Wachstums- und Job-Motoren externe Unterstützung, gemäß der Logik, Wandel durch Handel.
8. Feststellung: Die Entwicklungshilfe-Politik Deutschlands – bisher auf Systemebene relativ wirkungslos – wird selektiver und auf das Ziel der Stabilisierung reformwilliger Regierungen ausgerichtet.
Die Möglichkeiten, mittels ODA-Mitteln von außen Entwicklung in afrikanischen Ländern positiv zu beeinflussen, sind begrenzter als oft auf Geberseite zugegeben wird (Andersen 2012; Moyo 2009; Gebauer & Trojanow 2018). Hier herrscht oftmals Realitätsverlust, der sich in der notdürftig verschleierten Differenz zwischen politischer Rhetorik und politischer Wirkung widerspiegelt: Man verspricht als relativ unscheinbarer nationaler Akteur (deren Fachministerien untereinander nicht selten unterschiedliche Interessen vertreten) Wandel, den man aber allein – ohne die anderen EU-Mitgliedsländer – niemals erfolgreich ins Werk setzen könnte, weil dazu das nötige politische leverage fehlt, um sachfremde Widerstände zu überwinden. Nur allzu häufig praktiziert eine afrikanische Regierung als Repräsentantin eines formal souveränen Staates ihr Recht auf Verweigerung der gewünschten Entwicklungskooperation: Häufig blockiert die enge Verflechtung der großen der großen stattlichen, privaten und privatisierten Unternehmen mit der von außen alimentierten postkolonialen Staatsklasse – verflochten „durch Korruption, Ausschaltung des Wettbewerbs, Gängelung, Über-Regulierung, willkürliche Besteuerung, politische Nähe und Intransparenz“ (Bass, Kappel & Reisen 2916, S. 15) – notwendige Strukturreformen und somit mögliche Entwicklungserfolge. Regierungen geht es eher um Machterhalt, wozu kurzfristig Staatsrevenuen eingesetzt werden (zur Alimentierung ihrer Klientelgruppen), als um Strukturreformen, die erst langfristig Früchte bringen und dem politischen Rivalen nützen könnten. ODA-Mittel, vorgesehen für produktive Zwecke in Nicht-Demokratien, sind ‚fungibel‘.
Im Mai 2020 verkündete der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller die Abkehr vom Gießkannenprinzip und eine Fokussierung der Mittel auf reformwillige Länder. Das ist zu begrüßen, irritierend wirkt dabei, dass diese Politik mit den anderen EU-Ländern nicht abgestimmt zu sein scheint. Auf der Liste der Länder, deren Regierungen zukünftig nicht mehr mit deutschen ODA-Leistungen bedacht werden sollen, sind nur vier afrikanische Länder platziert, nämlich Burundi, Sierra Leone, Liberia und Sierra Leone (alles Länder mit hohen Transparency International – Korruptionsindex-Rängen: 165, 130, 137 und 119). Auf der Ausstiegsliste fehlen aber hoch korrupte Länder wie DR Kongo (TI-Index-Rang 168), Kongo-Brazzaville (165), Tschad (162), Kamerun (153) und vor allem Mosambik, ein Zentrum des globalen Heroinhandels (153) (Seitz 2020).
Das aktuelle Reformkonzept des BMZ 2020 beruht auf folgenden, durchaus begrüßenswerten vier Prinzipien, „Säulen“ genannt: Erstens: „Unsere Partnerländer müssen selbst mehr leisten! Eigeninitiative ist der Schlüssel zur Entwicklung“. Zweitens: Ausbau der „Reformpartnerschaften“ durch zusätzliche Mittel. Drittens: Förderung der Privatinvestitionen, insbesondere von Mittelständlern. Viertens: „Wir müssen fairen Handel ermöglichen. Damit lösen wir die größten Entwicklungssprünge aus“ (BMZ 2020). Damit verweist das BMZ auf die unerfreuliche Tatsache, dass der Handel zwischen Deutschland und den afrikanischen Ländern seit Jahren rückläufig ist (vor allem Abnahme der afrikanischen Exporte) und sich strukturell kaum verändert hat: noch immer exportieren afrikanischen Länder zu ca. 80% unverarbeitete Rohstoffe (Tetzlaff 2020) und sind kaum in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden (Christoph Kannegießer, Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft im Interview mit der Deutschen Welle am 13.05.2020).
Es folgen nun fünf Thesen oder Vorschläge zur Entwicklung afrikanischer Länder.
These 1: Eine Kernthese dieser Abhandlung besteht in der Annahme, dass für die afrikanische Jugend die Aussicht auf ein Arbeitsleben jenseits von Armut, Abhängigkeit und Perspektivlosigkeit hauptsächlich in Afrika, und nur zum kleinen Teil im Ausland und in der Diaspora, liegen kann, – wenigstens langfristig.
An diesem Fernziel sollte sich auch die Entwicklungshilfepolitik der OECD-Staaten sowie die Compact with Africa-Diplomatie orientieren, – wohl bedenkend, dass diese Grundeinstellung auch auf starken Wiederstand seitens der beharrenden Status-quo-Kräfte stoßen wird. Sechzig Jahre internationale Entwicklungszusammenarbeit – mit 135 Mrd. US $ jährlicher Hilfe aus OECD-Ländern (Gebauer & Trojanow 2018, S. 19) – hat vielerorts in Afrika das Bewusstsein für den Wert der Eigenleistung verkümmern lassen. Dagegen rebellieren nun frustrierte Jugendliche in Afrikas Städten und einige Repräsentanten der afrikanischen Kultureliten wie beispielsweise die afrikanischen Autoren und ‚Influencer‘ Moeletsi Mbeki, Ngugi wa Thiong’o, Wole Soyinka, Chimamanda Ngozi Adichie, Achielle Mbembe und Felwine Sarr. Die Schaffung von nachhaltigen Arbeitsplätzen auf breiter sozialer Basis in funktionierenden Demokratien kann als primäres Entwicklungsziel der Reformer angesehen werden.
These 2: Eine nachhaltige Entwicklungsstrategie sollte aus einer je spezifischen Kombination von drei Entwicklungskomponenten bestehen – bei Priorität für Steigerung der Agrarproduktivität: Die notwendige Agrarmodernisierung, inklusive Bodenbesitzreform, könnte die Basis für industriell verarbeitete Rohstoffe (Agro-Industrien) liefern, was mit sozial breit angelegten Investitionen in ‚human capital‘, d. h. in Bildung und Gesundheit, einschließlich Familienplanung, verbunden werden müsste (inklusives Entwicklungs-Konzept).
Die Vorrangigkeit der Eigenversorgung der Bevölkerung mit lokal produzierten Lebensmitteln – beschleunigt durch die Corona-Pandemie – lässt die Notwendigkeit einer Bodenrechtsreform (Abschaffung des Staatsbesitzmonopols) sowie des Ausbaus marktkonformer Infrastruktur-Investitionen (Straßenbau, Energieversorgung, Markthallen, Kreditsystemen) als vernünftig erscheinen. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (BIBE) hat in seiner Studie „Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit. Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss“ (Berlin 2018) aufgezeigt, wie Methoden der ‚Grünen Revolution‘ und der sustainable intensification (nachhaltige Intensivierung) dazu beitragen können, einen produktiven Agrarsektor zum Entwicklungsmotor zu machen (was auch der historischen Erfahrung in Westeuropa entspricht).
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch die African Development Bank (AfDB), deren Chief-Ökonom Célestin Monga kürzlich zu bedenken gab: „Automatisierung und Modernisierung der Landwirtschaft“ mit bisher sehr niedriger Produktivität „könnten die Landwirtschaft transformieren und neue Berufe schaffen. Daher müssten Erwerbschancen jenseits der Felder entstehen – beispielsweise in der Verarbeitung von Agrarerzeugnissen oder in der Zulieferung für Bauernhöfe“. Nur so könnten 12 bis 15 Millionen neue Jobs geschaffen werden, die heute dringend gebraucht würden: Denn etwa zwei Drittel der afrikanischen Erwerbsfähigen seien arbeitslos oder nicht ihrer Qualifikation entsprechend beschäftigt (C. Monga, An African Manifesto der AfDB 2019, zit. in E &Z, Heft 03-04/2020, S. 25).
These 3: Die bisher übliche Vernachlässigung des ländlichen Raums müsse durch die gezielte Inklusion SME (small and middle enterprises) überwunden (Kappel) und mit einer Bildungsoffensive verbunden werden (Langhammer)
Rolf Langhammer, bis 2012 der Afrika-Experte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (KfW), betont in seinem „Reformplan für Afrika“ vom April 2020 die Schlüsselfunktion des ländlichen Raums, flankiert von agrarwissenschaftlicher Bildungsinitiativen: Eine bessere Bildung in den Ländern würde „das Verständnis für die Notwendigkeit, neue Nutzungsrechte für den Boden zu schaffen und zu sichern. Dies wäre eine Grundlage dafür, die Erkenntnisse der Agrarwissenschaft für Produktivitätsverbesserungen afrikanischer Böden zu nutzen und natürlichen Herausforderungen wie Versteppung und Schädlingsbefall besser zu begegnen. Es entstünde eine Quelle für Einkommen und Unternehmertum im ländlichen Raum, die mit Hilfe der durchgreifenden Reformen gegen die Benachteiligung des ländlichen Raums in allen Politikfeldern verstetigt werden könnte. Der ländliche Raum könnte zur Grundlage innerafrikanischer Lieferketten werden und dabei die Informations- und Agglomerationsvorteile der urbanen Zentren nutzen“ (R. Langhammer, Ein Reformplan für Afrika, in: FAZ vom 30.04.2020, S. 18).
Robert Kappel, Birte Pfeiffer und Helmut Reisen zeigen auf, unter welchen Umständen langfristig angelegte ausländische Privatinvestitionen Innovationsschübe in Ländern mit attraktiven Geschäftsklima auslösen könnten. Ziel dabei sei eine strukturelle Transformation von Rohstoff-Exportökonomien zu sich industrialisierenden Ökonomien mit einem aussichtsreichen Konsumgütersektor für die wachsenden Mittelschichten. Dazu müssten allerdings die politischen Rahmenbedingungen stimmen – die beliebte Wunschformel aller Wirtschaftsberater!
These 4: In den EU-Ländern wird die Wirksamkeit von externen Hilfsmaßnahmen oft überschätzt: Vielleicht zuweilen gut gemeint, sind sie aber ziemlich wirkungsarm und politisch nicht selten kontraproduktiv.
Hier wird ein Souveränitätsparadox sichtbar, an dem viele der gut gemeinten Reformvorschläge bislang scheiterten: Weil Staaten als anerkannte Völkerrechtssubjekte souverän handeln und somit auch vernünftige Reformen, die der breiten Bevölkerung nützen würden, verhindern können, prallen lösungsorientierte Entwicklungspolitiken von außen ab; denn rücksichtslose Herrschaftssicherung – koste sie was sie wolle – hat Vorrang vor nationalem Gemeinschaftswohl. Logischerweise ist daraus zu schlussfolgern, dass nur ein Beitrag zur Stärkung der gesellschaftlichen Reformkräfte aus den einheimischen Ober-, Mittel- und Unterschichten uns dem Ziel einer diversifizierten, innovationsfähigen Wirtschaftspolitik näher bringen könnte.
Daher sind Entwicklungspolitiker der OECD-Länder gut beraten, wenn sie die „structural change“-Komponenten (inklusives Wachstum durch Modernisierung der Landwirtschaft mit Aufbau von Agro-Industrien; Förderung des lokalen Unternehmertums und der lokalen Arbeitspotentials) stärker in den Blick nehmen würden – besonders bei der Förderung der zwölf vom „G20 Compact with Africa“ ausgewählten Reformländer. Die Regierungen anderer Länder-Gruppen (der Kategorie „defekte Demokratien“) sollten versuchsweise mittels positiver materieller Anreize zu Reformen ermutigt werden (z. B. mittels Schuldenerlass im Austausch für klimagerechte und sozialverträgliche Agrarreformen). Bewusste Nicht-Kooperation seitens afrikanischer Partner (Veruntreuung von ODA-Mitteln, wie jüngst von der Weltbank skandalisiert) sollten zu Konsequenzen und ggfs. zum Rückzug der EU-Geber führen (Exit-Strategie), um in Afrika verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. ODA-Mittel sollten nicht weiter zur Stabilisierung politischer Verhältnisse missbraucht werden, die Entwicklungsfortschritte nachweislich blockieren (Bonner Aufruf 2018; Tetzlaff 2018; Bass, Kappel & Wohlmuth 2016; Collier 2014).
Da der Markt alleine die in Afrika nötigen Arbeitsplätze nicht schaffen wird, sind sorgfältig konzipierte öffentliche Beschäftigungsprogramme Public Works Programes (PWPs) eine unterstützungswürdige Maßnahme (durchaus auch mit ODA-Mitteln): Sie schaffen Jobs, verbessern die Infrastruktur, bringen Einkommen für bedürftige Menschen, einschließlich für Frauen und Jugendliche, zum Beispiel nach folgender Methode: Jeweils eine Person aus jedem armen ländlichen Haushalt stehen jährlich 100 Arbeitstage zum gesetzlichen Mindestlohn im Infrastrukturaufbau zu (von Braun & Sakketa 2020, S. 43).
These 5: Die Corona-Pandemie mit ihren negativen Auswirkungen auf Gesundheit, Jobs, Ernährung und Frieden schwächt heute Mehrparteien-Demokratien und zivilgesellschaftliche Widerstandskräfte; aber nach Überwindung der größten Schäden könnte sie auch Anstoß für interne Reformen werden („Modernisierung wider Willen“, „Collective Self-Reliance“)).
In ca. 40 afrikanischen Ländern sind Regierungen an der Macht, die aus Eigennutz überfällige Reformen eher blockieren und kreative einheimische Unternehmerpotentiale unterdrücken oder aber perspektivlose Jugendliche (oft nach dem Studium) zur Emigration treiben. Regierungen betrachten Emigration ihrer Landsleute nicht selten als Geschäft (Jakob & Schlindwein 2017). Da in Not- und Krisenzeiten Staatsregierungen martialisch aufzutreten pflegen, wurden auch die Protestbewegungen der frustrierten afrikanischen Stadtjugend zunächst erstickt – durch Ausgeh- und Versammlungsverbote. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie hatten sich das maghrebinische Afrika, das südliche Afrika und Teile Ost- und Westafrikas zu Hauptschauplätzen einer globalen Protestwelle von verzweifelten Bürgern*innen gegen repressive und inkompetente Regierungssysteme entwickelt. Laut Acled, einer US-amerikanischen Forschungseinrichtung, fanden 2019/2020 etwa 9000 solcher friedlichen Proteste statt – zwanzig Mal mehr als vor zehn Jahren. In Ländern wie Äthiopien, Algerien und Sudan, ferner in Kamerun, Togo, Benin, Gabun, Gambia, Guinea, Burkina Faso, Mali, Nigeria und anderswo demonstrierten frustrierte Menschen gegen ihre wirtschaftspolitisch ineffizienten oder eigennützig handelnden Regierungen. Diejenigen, die in Algier, Conakry, Khartum, Lomé etc. auf die Straße gingen, bewiesen dass sie zur Selbstermächtigung bereit und fähig seien: „Sie verdienen Unterstützung – nicht die alte Garde an der Macht, die sich auch dank europäischer Zuwendungen sorglos reproduzieren kann, obwohl sie für das genaue Gegenteil steht von dem, was in Afrika fast alle wünschen“ (Urecht 2020).
Wie könnte eine solche Unterstützung aussehen? Beispielsweise hat der Wirtschaftswissenschaftler am Kieler Institut für Weltwirtschaft Rolf Langhammer in einer Skizze eines „Reformplans für Afrika“ vorgeschlagen, „international finanzierte Reformprojekte in zu gründenden Sonderzonen zu bewerben, idealerweise grenzüberschreitend. In diesen Zonen würden bestehende Gesundheits- und Bildungseinrichtungen materiell und personell gestärkt, neue Bewirtschaftungsrechte für Boden gelten, innovative Anbaumethoden eingesetzt und Start-up-Unternehmen, vorzugsweise von Frauen, gefördert, mit dem Ziel, innerafrikanische Lieferketten zu etablieren“ (Langhammer 2020). Wie Kappel & Reisen am Beispiel der bereits bestehenden (nationalen) SEZ gezeigt haben, sind solche Wirtschaftszonen nicht ohne Probleme („isolierte Enklaven“; „jobless growth“), können aber doch bei gesunden Rahmenbedingungen (einschließlich zuverlässige Elektrizitätsversorgung) ausbaufähige Entwicklungsimpulse auslösen (Kappel & Reisen 2019, S. 63).
Dazu könnte eine seriöse Wiederbelebung des entwicklungspolitischen Grundsatzes – Hilfe zur Selbsthilfe bzw. Collective Self-Reliance – nützlich sein, die für die von Arbeits- und Perspektivlosigkeit geplagten Menschen neue Inklusionshoffnungen zeitigen könnte. Die damit verbundene praktische Hinwendung der jungen Schulabgänger zur Entwicklung der heimischen Landwirtschaft primär für den Eigenbedarf und dann zur Belieferung von Märkten im In- und Ausland würde allerdings eine neue kulturelle Einstellung zum Wert der Landarbeit voraussetzen, die der städtischen Jugend oftmals verloren gegangen ist (Smith 2018). In Afrika gibt es weniger ein Erkenntnisdefizit denn ein Handlungsdefizit.
Zitierte Literatur:
Abi, Samir. 2020. Bevölkerungswachstum: Globale Herausforderung, in: E & Z 2020/05-06, S. 18-19
Andersen, Uwe (Hrsg.). 2012. Entwicklungspolitik. Wochenschau-Verlag
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[1] Von den 12 Ländern, die im Rahmen des „G20 Compact with Africa“ als zu bevorzugende Partnerländer gefördert werden sollen (Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Ägypten, Äthiopien, Ghana, Guinea, Marokko, Ruanda, Senegal, Togo und Tunesien), gehören sechs in diese Gruppe der Best Performer und drei (Ruanda, Äthiopien und Ägypten) in die Gruppe der Entwicklungsdiktaturen. Togo hat hier eigentlich nichts zu suchen!
[2] Die deutsche Mali-Politik trägt Züge von Realitätsverlust, wenn man die Bundestagsdebatte über die Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes EUTM Mali am 13. Mai 2020 zugrunde legt. Der einzig kritische Debattenbeitrag kam ausgerechnet von Prof. Dr. Lothar Maier, AfD, Landesliste Baden-Württemberg : „Ohne politische Beteiligung“ der Bevölkerung in den bislang politisch marginalisierten und wirtschaftlich vernachlässigten Regionen des Nordens und der Mitte sei der militärische Einsatz – jetzt im siebten Jahr ohne Erfolge –„ nicht zu verantworten“. Das Parlament. Debatten-Dokumentation, Berlin 13.5.2020, S. 2; Bernd Ulrich: „Passt nicht“, in: Die Zeit vom 30.01.2020, S. 3
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